Die Objekte im Einzelnen

Architektur und bildende Kunst
Eine ungewöhnliche Liaison im INMC zu Frankfurt am Main

Architektur und bildende Kunst

Eine ungewöhnliche Liaison im INMC zu Frankfurt am Main


Von Dr. Manfred Sack

Wie oft träumt man davon, daß Architekten sich für die bildende Kunst interessieren – in ihren Bauwerken. Sie kümmern sich selten darum. Das erklärt sich zum einen, weil Bilder und Plastiken sie langweilen, zum anderen, weil sie ihre Bauwerke von vornherein als eigen­ständige Kunstwerke verstehen und alle künstlerischen Beigaben als konkurrierende, wenn nicht als verletzende Beigaben empfinden. Manchmal weichen sie – ihren Bauherren zuliebe – kenntnislos auf die Hitlisten des Kunstmarktes aus, manchmal lassen die Preise sie – und ihre Bauherren – zusammenzucken, dann flüchten sie in die Regionalliga. Es gibt für diesen ringsum zu beobachtenden Zustand viele Erklärungen. Eine findet man an unseren Hoch­schulen: Das Thema „bildende Kunst in der Architektur“ wird im Studium nicht behandelt, es kommt im Lehrplan nicht vor. Wie also sollte ein Architekt, wenn er nicht selbst eine Kunst-Lust in sich spürt, ein sicheres, engagiertes Gefühl dafür entwickeln, geschweige eine Notwendigkeit darin entdecken?

Und die Bauherren? Steht es denn besser um sie? Da gibt es die einen, die überhaupt keinen Sinn dafür haben und Kunstwerke für Verschwendung halten, und die anderen, die in Kunstwerken hauptsächlich eine Geldanlage vermuten, aber nur wenige, denen erstens das Betrachten von Gemälden, Graphiken, Skulpturen ein persönliches Vergnügen ist, das sie auch ihren Angestellten und Gästen wünschen, die zweitens womöglich einen Stolz darauf empfinden oder drittens sogar eine Symbiose zwischen ihrem Bauwerk und den Kunst­werken darin im Auge haben. Die vierte Ambition ist so selten, daß man gar nicht anders kann, als Bewunderung dafür zu haben: für eine thematische Vision, die sich von den Offerten der Architektur hat anregen lassen und sich ausdrücklich auf das bezieht, was im Gebäude selbst vonstatten geht, so wie im INMC: auf die pausenlose, von Großrechnern erledigte, geordnete, kontrollierte, dabei aufs Äußerste abstrahierte Kommunikation, die Individuen untereinander in über zweihundert Ländern der Erde pflegen.

Was sich hier unter diesem Stichwort – Kommunikation, auf deutsch: Verständigung, Verbindung, Beziehung, Zusammenhang – ereignet, deutet zwar eine wandfüllende, 72 m² messende Bildwand mit Nachrichten und Signalen an, aber auch sie beläßt es letztlich bei undinglichen Zeichen, die sich nur den Kennern entschlüsseln. So entstand allmählich die wunderbare Idee, die abstrakten Vorgänge zu vergegenständlichen: mit Hilfe der Kunst. Die von dem kunsterfahrenen Architekten mitgeteilte Idee war, die hier in seinem Gebäude gehandhabten „Grundfunktionen weltumspannender Kommunikation zwischen Individuen“ vor Augen zu führen, in welcher Form auch immer, sie also in Kunstwerken zu reflektieren.

Bedingung war nur, daß sie dem Bauwerk nicht unverrückbar, nicht „ortsfest“ eingefügt würden, sondern ausgewechselt, umgehängt, unter Umständen getauscht oder wieder verkauft werden könnten. Und das Thema? Das waren für ihn die Subjekte der Kommunikation, ganz einfach: Menschen. Der Architekt hat nicht lange gebraucht, darauf zu kommen und eine Vorstellung davon zu entwickeln. Er hätte schwerlich eine treffendere finden können. Das Thema nämlich erlaubt unendliche Deutungen, künstlerische Variationen, technische Darstellungsformen. Seine Wiederholung ruft nicht Überdruß hervor, sondern eröffnet ganz im Gegenteil die Chance einer unendlichen, oft überraschenden Vielfalt. Die erfährt jeder am direktesten auf den beiden über sechs Meter breiten, anderthalb Meter hohen Tafeln, auf denen der Fotograf Roland Fischer Hunderte von „Multikulturellen Köpfen“ vom Frankfurter Flughafen versammelt hat. Um wieviel spannender geschieht das aber erst vor den Bildern und Plastiken, in denen allen wie nebenbei zugleich ein Wesens­merkmal des Unternehmens steckt: Internationalität.

Es geschieht selten, daß das Thema „Kunst am Bau“ (erst recht „im Bau“) so intelligent, so temperamentvoll und so einladend behandelt ist, wie hier unter dem Frankfurter Fernmelde­turm im INMC der Telekom. Meist sind die Auseinandersetzungen zwischen Bauherren, Architekten, Behörden und Bürgern lähmend. Zu einem Politikum war es erst nach den unend­lichen Verwüstungen gekommen, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat, und als der atemlose, von Armut geprägte Wiederaufbau des Landes, später der von den großen Gesell­schaften betriebene Massenwohnungsbau eine Gebrauchsarchitektur hervorgebracht hat, die bald als „Bauwirtschafts-Funktionalismus“ gebrandmarkt worden ist: als eine auf ihre rationellen, utilitaristischen und finanziellen Vorteile beschränkte, alle baukünstlerischen Anstrengungen als lästig empfindende, reibungslos zu produzierende Architektur. Was sie landauf, landab an Gemütswerten verweigerte, nämlich einen minimalen ästhetischen Mehr­wert und eine angemessene städtebauliche Raumkultur, sollte nun von der bildenden Kunst, von sogenannter „Kunst am Bau“ überspielt werden. So erklären sich  Abertausende von Kunst­werken, von Plastiken, Mosaiken, Wandbildern, Brunnen in und an und neben Gebäuden.

Einen guten Ruf hatte diese Anstrengung unter den Kennern nie, nachdem der Deutsche Bundes­tag 1950 eine Richtlinie beschlossen hatte, derzufolge bei Bundes-, später bei allen mit öffentlichem Geld finanzierten Gebäude ein halbes bis zwei Prozent der Bausumme für „Kunst am Bau“ ausgegeben werden sollten (nicht mußten). Sie sollte erstens Künstlern am Ort oder in der Region zu Lohn und Brot verhelfen, zweitens die ärmliche Architektur schmückend ergänzen. Wie selten das von Erfolg gekrönt war, liest man aus Bezeich­nungen, die man dafür gefunden hat: Tarnanstrich, Fassadenkosmetik, Zwei-Prozent-Kunst, Gnaden­brot für Künstler, Sozialfond für Heimatkünstler und so weiter. Es war viel mittel­mäßige Kunst darunter, viel dekorative Applikation, oft rührend naiv.

Eines Tages brachte der Überdruß an dieser „Kunst am Bau“ ganz neue Ideen hervor, die sich nun nicht mehr nur mit den klassischen Erscheinungsformen von Kunst – mit Bildern und Plastiken – begnügten, sondern die Stadtlandschaft mit einbezogen: eine Kunst zwischen den Bauten.

Zugleich aber wuchs eine Sehnsucht nach dem „integrierten Kunstwerk“. Denn genau dies ist doch in dem trotz allem ehrenwerten Programm der „Kunst am Bau“ selten erstrebt worden: die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Künstlern und Bauherren. In der „Nationalen Umfrage“ (Nr. 30), die vor Jahren unter dreitausend Schweizer Architekten ange­stellt worden war, sagten über die Hälfte von ihnen, daß sie Kunstwerke in ihre Gebäuden hätten integrieren können – und es auch getan hätten, wenn sie sie frühzeitig genug in ihre Entwurfs­planung hätten einbeziehen können. Sollte also auch vom Bauherrn ein Signal kommen? Sollte er nicht auch ausdrücklich dazu angestoßen werden, muß er womöglich erst davon überzeugt werden?

In Deutschland hatte es mit der „Kunst am Bau“ dann plötzlich einen Bruch gegeben – aus Unmut über das provinzielle Einerlei der Kunstwerke, einen biederen Traditionalismus wie einen anbiedernden Modernismus. Begonnen hatte es mit riesigen Wandmalereien an Brand­wänden und Giebeln, wo sich bis dahin oft die verwaschenen Reste alter Reklame­bilder erhalten hatten. Bald sah man derlei kunterbunte, figurenreiche Gemälde auch auf Bunkern, großen kahlen Fassaden von Lager-, Kauf- und Turnhallen. Fast hatte es den Anschein, in Großstädters Seelenspiegel zu schauen. Richard Haas, einer der berühmt gewordenen Fassadenmaler zwischen Chicago und München, sah in all dem nur „eine Form der städtischen Chirurgie, die dem Unerwünschten und den häßlichen Verwerfungen zu Leibe rückt“. Primitivster und oft unausstehlicher Ausdruck dieser Unzufriedenheit wurden dann bald die ungelenken Graffiti, die oft ohne den mindesten ästhetischen Ehrgeiz zu bloßen besitzergreifenden Wandschmierereien ausarteten.

In diesen, den siebziger Jahren taten sich dann zwei deutsche Städte, Bremen und Hannover, mit einem neuen Gedanken hervor, als die „Kunst am Bau“ zu einer „Kunst in der Stadt“ erweitert werden sollte. Die hannoversche Devise lautete nun, die Stadt „durch künstlerische Objekte und Aktionen zu verändern“; in Bremen wiederum entschloß  sich die Bürger­schaft, „die bei Bauvorhaben veranschlagten Mittel für ‚Kunst am Bau‘“ zusammen­zu­fassen, um den gleichen Betrag aus dem Stadt-Budget aufzufüllen und das Programm fortan „Kunst im öffentlichen Raum“ zu nennen. Es war eine Pioniertat, denn die Straßen hatten fast durchweg den Reiz verloren, den Walter Benjamin in seinem Passagenwerk beschrieben hatte, „die Wohnung des Kollektivs“ zu sein. Die Städte waren, wie die Bremer Kultur­senatorin 1993 schrieb, schon lange „weder ‚lebendige Landschaften‘, noch ‚wohnliche Stuben‘, sondern funktionalistische Zweckgebilde, in denen selbst die letzten Reste von Urbanität einer vorgeblichen Logik geopfert wurden“. Deshalb also die Anstrengung, „die Stadt wieder zu einem Ort von Entdeckungen und Erfahrungen, von selbstbestimmtem Handeln und ‚räsonnierender Öffentlichkeit‘ zu machen“: Sie wollte die Kunst in den Rang eines sozialen Ereignisses versetzen.

War es denn etwas anderes, was seit ein, zwei Jahrzehnten Bauherren, Investoren, Mieter hauptsächlich von Verwaltungsgebäuden dazu brachte, Kunst in ihre Häuser zu holen? Es waren Bilder und Plastiken, die nun nicht mehr allein ihrer jeweiligen privaten Leidenschaft oder Laune zuzuschreiben waren, dahinter steckten nun andere Motive. Dazu gehörte der verständ­liche Vorsatz, damit auf sich und die Institution (die Firma) aufmerksam zu machen, auf ihren besonderen Anspruch, auch auf die Erwartung, sich damit erinnerlich zu machen bei Kunden wie bei der Öffentlichkeit und den Ruf von Bildung und Kultiviertheit zu erlangen. Dazu gehörte auch die Hoffnung, den eigenen Angestellten einen Gefallen zu tun, ihnen also Achtung zu erweisen. Natürlich war auch Besitzlust dabei, nicht zuletzt die damit verknüpfte Hoffnung, sich Schätze von vermutlich steigendem Wert ins Haus zu holen, letztlich aber auch die Vermutung, mit dieser kunstfreundlichen Identitätsbekundung für sich zu werben, also Vertrauen zu wecken.

So ließ sich auf einmal beobachten, wie Hotels eines bestimmten Typs damit begannen, ihre Foyers, Restaurants und alle Gästezimmer nicht bloß mit ausgesucht modernem - oder modischem - Design auszustatten, sondern auch mit Kunstwerken eines oder mehrerer zeitge­nössischer Künstler auszustatten; wie auf einmal auch Ärzte, Anwälte, Immobilien­makler ihr Kunstinteresse an den Wänden ihrer Wartezimmer und Flure vorführten, mitunter aus psychischen oder therapeutischen Gründen; wie kunstversessene Zeitungsverleger ihre Kunst­kritiker in Ateliers, Galerien und Auktionen aussandten, um ihren Verlagshäusern den gewissen, nach Kräften stimulierenden Pfiff zu geben – und wie nebenbei ehrgeizige Sammlungen anzulegen. Fast wurde daraus eine die eigene Prosperität demonstrierende Mode, der man dann auch entnehmen konnte, daß jemand nicht nur sein Herz an die Kunst verloren habe, sondern auch einen berechnenden Sinn für ihren Wert entwickelt habe.

Mittlerweile gibt es kaum noch eine Bankgesellschaft, die darauf verzichtete, mit Kunst­werken ihre Solidität zu belegen. Doch es gibt nur wenige Unternehmen, die so wie das INMC in Frankfurt am Main zugleich auch den Anspruch erkennen lassen, Kunst eben nicht bloß zu häufen, sondern mit Verstand so auswählen, so hängen und aufstellen zu lassen, daß Architektur und bildende Kunst dabei eine so eng wie möglich arrangierte Gemeinschaft bilden – und dabei sogar glauben zu machen, daß fortan das eine ohne das andere an ästhetischer, aber auch an raumbildender und raumprägender, an stimulierender  Kraft verlöre. Das Glück der Kunstwerke im INMC sind die Bühnen, die die Architektur ihr mit den Galerien und der weiten lichtdurchfluteten Glashalle bereitet.

Eben dies ist doch der eigentliche Sinn von Kunstwerken, ob sie den öffentlichen Stadtraum be­völkern oder die Innenräume von Gebäuden, in denen Menschen arbeiten oder ein und aus gehen: daß sie auflockern, aber auch visuelle Verbindungen herstellen, die Neugier reizen, die Lust an der bildenden Kunst wecken, Assoziationen hervorrufen und einen erinner­­lichen Ort bilden. Dass sie so wie hier dazu anregen, Beziehungen zum Dargestellten zu knüpfen, seien es Figuren, seien es Gemälde oder Graphiken, seien es Köpfe von über-raschender Mannigfaltigkeit, Gesichter also, in die man schaut.

Daß sie zum Innehalten anregen, nachdenklich machen, einen wundern lassen oder zum Lachen bringen - und daß sie letztlich doch auch, deswegen, der Orientierung dienlich sind. Ah, diese raffiniert verklausulierte Marylin Monroe, die hing doch...? Nein... war das nicht auf der Galerie im ersten Stock ganz links?

Kunstwerke, nicht wahr, sollten in öffentlichen Außen- und Innenräumen niemals "wie bestellt und nicht abgeholt" wirken, sondern einen Gestaltungswillen erkennen lassen und den Ein-druck von daseinsnotwendigen Gebrauchsgegenständen hervorrufen: Kunstwerke, die eine Faszination ausüben und durch die tägliche Begegnung zu Freunden werden. Und es wird immer Freunde darunter geben, die man gerne hat, von denen man womöglich schwärmt, und andere, die einen kalt lassen, mit denen man sich, so wie im Leben, schwer tut. Solch ein Beziehungsgefüge, das nichts anderes ist als Kommunikation, glückt desto intensiver, je mehr darin die Hoffnung auf Verschwisterung von Architektur und bildender Kunst erfüllt wird - und daß sie ohne Eifersuchtsaffären vonstatten geht.

Es gibt nicht viele Beispiele, in denen das geglückt ist -dazu gehört nun jedenfalls die Weltschalt­zentrale der Telecom am Fuße des Fernmeldeturms: ein Gebäude, ein Thema, ein Qualitäts­anspruch, eine Raum-Kunst-Komposition. Dazu gehörte nicht zuletzt die großzügige, sehr couragierte Entscheidung, die Idee des kunstengagierten Architekten tatsächlich zu verwirklichen und damit zu beweisen, daß das kein Hirngespinst ist: die seit der Antike in der Luft liegende Symbiose von bildender und Baukunst - zusammen mit der Verbild­lichung dessen, was im Gebäude geschieht.

Gemeint ist damit das Bündnis der selbstbewußten, mit dem Licht spielenden,  beziehungs­reichen Architektur mit einer temperamentvollen Versammlung anspruchsvoller, assoziations­reich plazierter Bilder und Skulpturen, deren Thema so alltäglich wie für den Ort von besonderer Bedeutung ist: der Mensch, der, da er ein geselliges Wesen ist, seines­gleichen braucht, um mit ihm kommunizieren, das heißt, um existieren zu können.

Kein kleiner Anspruch, wenn man bedenkt, was der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ bei einem rauschenden Fest einfiel, nämlich daß „die Mentalität der Bürgerstadt Frankfurt, die niemals den leichtsinnigen Launen prunksüchtiger Fürsten ausgeliefert war bis heute“, nun einmal grundsolide sei und bleibe, „zumal, wenn es um so Ernstes geht wie Geld“. Manchmal aber fließt es eben doch, zum Beispiel für einen so distinguierten Rausch der Sinne, den Kunstwerke fast beiläufig in den lichten Räumen eines ehrgeizigen Gebäudes hervorrufen – und eine unnachahmliche Stimmung erzeugen.


Biographische Notiz

Manfred Sack, Dr.-phil., Dr.-Ing. E.h.
1928 in Coswig (Anhalt) geboren;

Studium der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin.
Von 1959 bis 1993 Redakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT in Hamburg, danach bis 1997 ihr Autor. Beiträge hauptsächlich über Architektur, Städtebau, Landschaftsplanung und Design sowie über Unterhaltungskunst und Photographie. Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg und der Akademie der Wissenschaften und Künste Wien.
Zahlreiche Buchveröffentlichungen, mehrere Auszeichnungen.